Bd. 9,6: Der Mensch - Humanistische Philosophie
Guzzo, Augusto:
Ausgewählte Werke in deutscher Übersetzung / Michele Federico Sciacca. – Biel/ Bienne:
Schweizerischer Wissenschafts- und Universitätsverlag
NE: Hebeisen, Michael Walter [Hrsg.]: Guzzo, Augusto: [Sammlung]
Bd. 9,6: Humanistische Philosophie – Grundkonzeption, problematische Struktur und charakteristische Ausprägungen /
aus dem Italienischen übersetzt und
hrsg. von Michael Walter Hebeisen. – 2021
ISBN 978-3-7534-9160-8
Titel der Originalausgabe:
La filosofia – Concetto, struttura, caratteri, in: Memorie dell’Accademia delle Scienze di Torino, Serie 3, Tomo 5, parte II, N. 4, Torino: Accademia delle Scienze, 1961.
"Es wäre immerhin verfehlt, wenn man Augusto Guzzo als unempfänglich für oder als feindlich eingestellt gegenüber den Lehren von Immanuel Kant erachten würde. Nicht nur anerkennt er in Tat und
Wahrheit erklärtermassen die eigene Schuldigkeit in der Auseinandersetzung mit der Kantischen Ethik und Moralphilosophie, sondern behauptet ebenfalls deren universellen Geltungsanspruch, den
formellen Grundcharakter, die autonome Stellung und die Unbedingheit des Moralgesetzes, nur dass sich diese Bezeichnungen bei ihm in ihren Bedeutungen wandeln, da sie von der quantitativen Ebene
auf eine vollkommen qualitative Ebene gehoben werden, vom Negativen ins Positive gewendet werden. Die Universalität wird nicht extensional verstanden, wie der universelle Geltungsanspruch der
Logik, sondern als ein Vermögen, daran zu appellieren, was es in jedem einzelnen Menschen an Gutem, Werthaftem gibt, wobei jedes menschliche Individuum in eine ideelle Gemeinschaft eingebettet
ist; der Formalismus wird nicht als eine passive Absenz von Gegenständlichem, Inhaltlichem verstanden, sondern als eine aktive, kreative Kompetenz, adäquate Gegenstände auszubilden, konstitutiv
zu begründen; die Autonomie wird nicht als Selbstgenügsamkeit oder Autarkie gedeutet, und zwar weil die menschliche Individualperson so konstituiert wird, dass sie für eine Begegnung mit den
Mitmenschen und für eine Verbindung mit Gott offensteht, dabei jedoch die eigene Berufung zur Freiheit anerkennt, gerade im Sinn der Übernahme von Verantwortung für die eigenen Gedanken und
Empfindungen, aber auch des eigenen Handelns; und die Unbedingtheit des Moralgesetzes, der grundlegenden Normativität, wird nicht ohne Bezugnahme, nicht ohne geschichtlichen Bezug als Indifferenz
gegenüber den Konsequenzen des menschlichen Handelns und Verhaltens verstanden, alles Merkmale, die in einer Ethik der persönlichen Verantwortung wie derjenigen von Guzzo keine Garantie für die
Ethizität oder Moralität abgeben könnten, sondern nur Symptome von ethisch-moralischem Unwert wären, von Unmoral oder besser von A-Moralität, sondern stattdessen vielmehr umgedeutet als eine
absolute Autorschaft und uneingeschränkte Autorität eines Ideals von Normativität im Sinnverständnis von vollendeter Interesselosigkeit und universeller Gerechtigkeit".
Nynfa Bosco: Augusto Guzzo - La prospettiva morale