2010 erschienen: Band 2

Capograssi-Edition - Flyer Bd. 2
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Titelei, Inhaltsverzeichnis, Vorwort
Vita etica - Titel, Vorwort (Capograssi)
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Einführung
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Capograssi, Giuseppe:

Ausgewählte Werke in deutscher Übersetzung / Giuseppe Capograssi. – Norderstedt/Biel:

Books on Demand/Schweizerischer Wissenschafts- und Universitätsverlag

NE: Hebeisen, Michael Walter [Hrsg.]: Capograssi, Giuseppe: [Sammlung]

Bd. 2: Einführung in das ethische Leben; Die Erfahrung im Konkreten /

aus dem Italienischen übersetzt und
hrsg. von Michael Walter Hebeisen. – 2010

ISBN 978-3-8391-2294-5

468 S., Hc. m. SU, 168.- (108.00)

 

Titel der Originalausgaben:

Introduzione alla vita etica, in: Opere, Bd. 3, S. 1-171. A. Giuffrè, Milano 1959 [erstmals Torino: Edizioni di „Filosofia“, 1953];

L’esperienza in concreto, in: Opere, Bd. 3, S. 173-266. A. Giuffrè, Milano 1959;

Incertezze sull’individuo, in: Opere, Bd. 5, S. 429-470. A. Giuffrè, Milano 1959 [erstmals in: Scritti di sociologia in onore di Luigi Sturzo, Bologna 1953, S. 255-291];

Su alcuni bisogni dell’individuo contemporaneo, in: Opere, Bd. 5, S. 483-543. A. Giuffrè, Milano 1959 [erstmals in: Rivista inter­nazionale di filosofia del diritto, Jg. 1955, H. 4, S. 413-465].

 

"Die Art und Weise, wie man sich darüber Rechenschaft ablegen kann, was der Mensch sei, um dann den Inhalt der Welt der Gesellschaft und der Geschichte, und das heisst der Erfahrung umfassend zu erkennen, ist gerade, diese Welt der Erfahrung zu beobachten, sowie all die Richtungen,  die diese einschlägt, die Zwecke, die sie verfolgt, die Interessen, die sie empfindet und fördert, sowie die Formationen, in der sie sich niederschlägt. Dies scheint ein Zirkelschluss zu sein: um sich der Welt der Erfahrung bewusst zu werden, muss man sich erst über den Menschen klar werden, und um den Menschen zu erkennen, muss man sich zuerst über die Welt der Erfahrung Rechenschaft ablegen. Es ist aber deshalb kein schädlicher Zirkelschluss, weil es sich um nichts anderes handelt, als den Menschen in seinem bestimmten Schaffensakt zu erkennen und zu erfassen, mit dem er sein Leben erschafft, und womit er all das verrichtet, was er tut, um sein Leben zu führen. Den Menschen macht aus, dass er sein konkretes Leben führt und er zeichnet sich durch die Haltung aus, mit der sein konkretes Leben führt, und zwar in der bestimmten Konkretheit aller Erfordernisse und Anforderungen, die er verspürt. Alles was den Menschen ausmacht, lässt sich gerade darin erkennen, was dieser tut, wie er handelt; und sein Tun ist nicht sein abgesondertes, oberflächliches und fragmentarisches Handeln, das keine Spuren hinterlässt, sondern das was dieser in einer beständigen Weise in der Erfahrung verwirklicht und ordnet, in dieser Welt der Erfahrung also, die der Mensch kreiert und organisiert, und zwar vornehmlich deshalb erschafft und strukturiert, um seine Bedürfnisse befriedigen zu können und das zu verwirklichen, was er als seine objektiven und Interessen empfindet: und das ist die ganze Welt des Konkreten, der konkreten Erfahrung, der Gesellschaft. Die Welt der Erfahrung ist wie ein Haus, nämlich das Haus, das der Mensch sich zum Zweck errichtet, um gemäss seinen tief empfundenen Erfordernissen zu leben. Aber dieser Vergleich ist ungenau: (1.) weil das Haus und das Bedürfnis seines Bewohners, sich mit diesem zu schützen, zweierlei Dinge sind, während hier in der Welt der Erfahrung das Haus, und das heisst dessen Erfahrung, nichts anderes ist, als der Komplex der Erfordernisse, die ihrer konkreten Durchführung zugetragen werden, und weil (2.) das Haus statisch ist, während die Welt der Erfahrung nichts anderes ausmacht, als die veränderliche und lebendige permanente Vollziehung dieser Anforderungen. Der Vergleich hält aber insofern stand, als die Welt der Erfahrung vom Menschen nach Massgabe seiner Bedürfnisse errichtet wird: es korrespondiert in genauer Entsprechung mit diesen seinen Anforderungen. Um aber die Erfordernisse erfassen zu können, nach denen der Mensch sich bewegt, um sich diesen also in einer gewissen und konkreten Art und Weise bewusst zu werden, ist es notwendig, das in Betracht zu ziehen, was dem Menschen zu erschaffen gelingt, um diese Bedürfnisse zu befriedigen, und das bedeutet, diejenigen Formen der Erfahrung, diejenigen Lebenskreise der Erfahrung, diejenigen Häuser, die der Mensch errichtet, um diese Forderungen zu erfüllen, die ihn bedrängen. Nur so können die tatsächlich konstitutiven Erfordernisse der Natur des Menschen erfasst werden, die uns sagen können, was der Mensch wirklich ist, weil der Umstand, dass daraus die ganze Welt der Erfahrung entspringt, belegt, dass es sich nicht um oberflächliche und vorübergehende Erfordernisse handelt, sondern dass diese vielmehr eine konstitutive und formgebende Rolle dafür spielen, was den Menschen in seinem tiefgründigen und substantiellen Leben ausmacht. Und nur auf diesem Weg lässt sich ausmachen, wer der Mensch ist, weil sich nur so der Mensch in seiner wahrhaften Natur als eines Subjekts in der Welt der Erfahrung, als Schöpfer der abwechslungsreichen und mannigfaltigen Welt der Erfahrung, mithin als der Erschaffer dessen erfassen lässt, was Giovanni Battista Vico die menschliche Welt der Geschichte genannt hat."

Giuseppe Capograssi