Bd. 6: Fragmente zu einer Kritik der empirischen Psychologie; Über die Pathologie der Seele, der Psyche; Entwurf zu Vorlesungen über Anthropologie
Spaventa, Bertrando:
Ausgewählte Werke in deutscher Übersetzung / Bertrando Spaventa. – Biel/Bienne:
Schweizerischer Wissenschafts- und Universitätsverlag
NE: Hebeisen, Michael Walter [Hrsg.]: Spaventa, Bertrando: [Sammlung]
Bd. 6: Fragmente zu einer Kritik der empirischen Psychologie; Grundsätzliches zur Pathologie der Seele, der Psyche; Entwurf zu Vorlesungen über Anthropologie/
aus dem Italienischen übersetzt und
hrsg. von Michael Walter Hebeisen. – 2019
ISBN 978-3-7504-1131-9
Titel der Originalausgaben:
Psicologia empirica, in: Opere (Classici della filosofia, Bd. 12), hrsg. von Giovanni Gentile. Sansoni, Firenze, 1972, Bd. 3, S. 465ff.;
Sulle Psicopatie in generale – A proposito d’una lezione di Salvatore Tommasi, in: Opere (Classici della filosofia, Bd. 12), hrsg. von Giovanni Gentile. Sansoni, Firenze, 1972, Bd. 2, S. 471ff.;
L’anima e l‘organismo, in: Opere (Classici della filosofia, Bd. 12), hrsg. von Giovanni Gentile. Firenze: Sansoni, 1972, Bd. 3, S. 593ff.
Über die Pathologie der Seele, der Psyche;
Entwurf zu Vorlesungen über Anthropologie
"Tatsache ist, dass gleichwie ein psychischer Organismus ohne körperlicher Organismus unmöglich ist, so auch der übergeordnete, höhere Organismus ohne diesen nicht möglich ist; gleichwie der somatische die Grundlage für den psychischen Organismus abgibt, so verhält es sich mit dem psychischen und dem übergeordneten Organismus. Wenn man von einem übergeordneten, höheren Organismus spricht, dann versteht man darunter im allgemeinen das Bewusstsein (den Intellekt, den Verstand und die Vernunft, sowie den Willen), und wenn man vom untergeordneten Organismus spricht, meint man damit den Sinn für sich selber. Das Seelenleben, die psychische Verfassung ist noch nicht das Flutlicht und die Erleuchtung des Selbst-Bewusstseins, sondern erst ein kleiner Teil davon; darunter gibt es, als Grundlage und als seins-immanentes Prinzip, ein anderes Leben, das noch reicher ausfällt, als das andere, das im Unterbewusstsein stattfindet, das sich nicht erklärt oder offenbart, das unbewusst in Verborgenheit waltet, worin alles, was einmal gewesen ist, und was in der Folge verloren gegangen ist, nur um wieder aufzutauchen, seinen Ursprung und seine Heimstätte, seinen Aufbewahrungsort hat; eine solche Bewahrung im Verlauf der Zeit kann ohne einen körperlichen Niederschlag nicht stattfinden, und ebendiese körperlich-somatische Aktivität wird von Salvatore Tommasi als Stratifizierung, als Schichtung bezeichnet. Das Grundprinzip und die Vereinheitlichung dieses unterschwelligen Lebens wird geleistet von ebendiesem Sinn für sich selber, gleichwie die Einheit des anderen, höheren Lebens vom Bewusstsein seiner selbst getragen wird. Wir stellen uns das Geistesleben im allgemeinen so vor, wie sich Tommasi in seiner „Prelezione sulla malattia“ über die Konzeption der seelisch-psychischen Erkrankungen das körperliche Leben vorgestellt hat. Das körperliche Leben besteht nicht nur aus dem, was sichtbar zutage tritt, was man recht eigentlich als das gesunde und normale Leben bezeichnen könnte, sondern auch aus einer anderen Schicht des Eigenlebens, das verborgen, latent stattfindet, und dessen ungeahnte Wirkungen sind darin enthalten und werden ausgeglichen, und der Akt des Lebens, der Élan vital besteht recht eigentlich in dieser inneren Kraftquelle. Gleich verhält es sich mit dem Selbst-Bewusstsein. Wo die Kräfte und die unermesslichen Verfassungen und Prozesse, die im Sinn für sich selber noch komplex verflochten sind, frei, befreit werden, gleichsam entfesselt werden, selbsttätig werden, hochkommen und offen zutage treten, um die Stelle des seiner selbst bewussten Subjekts einzunehmen, da wird das normale, gesunde Leben gestört, und die Psychopathien nehmen da ihren Anfang."