Bd. 2: Grundlegung der Rechtsphilosophie; Zwei kritische Anhänge zur materialistischen Geschichtsauffassung und zur praktischen Philosophie von Karl Marx

 

erscheint im März 2015

Bd. 2: Titelei, Inhaltsverzeichnis, Vorwort
Fondamenti della filosofia del diritto -
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Gentile, Giovanni:

Ausgewählte Werke in deutscher Übersetzung / Giovanni Gentile. – Biel/Bienne:

Schweizerischer Wissenschafts- und Universitätsverlag

NE: Hebeisen, Michael Walter [Hrsg.]: Gentile, Giovanni: [Sammlung]

Bd. 2: Grundlegung der Rechtsphilosophie;
Zwei kritische Beiträge zur materialistischen Geschichtsauffassung und zur praktischen Philosophie des Marxismus /

aus dem Italienischen übersetzt und
hrsg. von Michael Walter Hebeisen. – 2015

ISBN 978-3-7347-6835-4

Titel der Originalausgabe:

I fondamenti della filosofia del diritto, con aggiunti due studi sulla filosofia di Marx, Opere complete di Giovanni Gentile, Bd. 9. G. C. Sansoni, Firenze, 3. A. 1937 (1. A. 1916).

"Es ist unmöglich, sich die sittliche Ordnung, das Geistesleben vorzustellen, ohne zugleich den menschlichen Geist konzeptionell als eine schöpferische Denkaktivität aufzufassen, und zwar weil die sittliche Welt, und das ist die Gesamtheit aller Aktivitäten, die sich dem menschlichen Denken als mögliche Gegenstände für eine bejahende oder ablehnende Beurteilung anbieten, nur unter der Voraussetzung überhaupt in Betracht gezogen werden können, wenn man sie als vom menschlichen Geist, vom kreativen Denkvermögen des Menschen erst hervorgebracht versteht, wenn man sie also als das auffasst, als was sie der Geist willentlich erschaffen, bewusst hervorgerufen hat. Bis zu einem gewissen Punkt lässt sich dafürhalten, dass der Geist die Wirklichkeit zu seiner Voraussetzung habe, wobei er sich auf diese Lebenswirklichkeit zu beziehen habe, um sie zum Gegenstand seiner Erfahrungswelt, seiner analytischen Untersuchungen und seiner philosophischen Speku-lation zu machen; dann aber fasst man den Geist, das Denken als ein gleichsam theoretisches Vermögen auf, das sich gegenüber der Gegenstandswelt passiv verhält, und der mithin als ein Subjekt einer bestimmten Erkenntnis auftritt, nicht jedoch im Sinn einer freien Initiative und schon garnicht als einer spontanen Aktivität in Erscheinung tritt, sondern vielmehr im Sinn einer extrinsischen, von aussen an ihn herantretenden Wirkkraft, die letztlich den eigentlichen Urheber der menschlichen Erkenntnis und den tieferen Grund der Werthaftigkeit und des Geltungsanspruchs alles menschlichen Wissens ausmacht. Eine solche Konzeption eines ausschliesslich theoretisch ausgeprägten menschlichen Geistes und Denkens – auf welche Weise auch immer man dabei das Verhältnis des Geistes oder Denkens zu der erfassenden Wirklichkeit konzeptionell auffasst, mögen diese erkenntnistheoretischen Modalitäten auch noch so allgemein einsichtig und dem Anschein nach nicht zu beanstanden sein – stellt sich nun aber offenkundig als absurd heraus, wenn man über den Charakter der menschlichen Erkenntnis gründlicher nachdenkt. Dies aus dem Grund, weil sich das menschliche Erkenntnisvermögen, die Urteilskraft in keinem Fall als eine Untätigkeit des menschlichen Geistes begreifen lässt, denn wenn der menschliche Geist auch nur einen Moment lang untätig bliebe, so würde er aufhören, etwas Geistiges auszumachen, um stattdessen zu etwas Gegenständlichem zu werden, das sich nicht anders verändern liesse, als dass eine von anderen materiellen Entitäten ausgeübte Bewegkraft darauf einwirkte. Der menschliche Geist, das Erkenntnisvermögen des Menschen besteht nun aber in einer geistigen Aktivität, in einem Denkakt, der sich als Urheber seiner Erkenntnisleistungen gibt. Dabei geht es nicht einfach um eine Veränderung des Erkenntnissubjekts, oder um ein dem Wesen des erkennenden Subjekts extrinsisches Akzidentelles, wie einmal behauptet worden ist, wie wenn es sich dabei um etwas der Wesensnatur Aussenstehendes und Unwesentliches handelte, welche Veränderungen seiner Wesensart auch immer von seiten eines ausserhalb liegenden Beweggrunds hervorgerufen würden. Vielmehr verwirklicht sich das Erkenntnissubjekt auf dem Weg über sein Erkenntnisvermögen, mittels seiner Erkenntnisleistung, bewahrheitet sich das Erkenntnissubjekt in seiner Erkenntnis. Wenn der Mensch Erkenntnisse gewinnt, dann bedeutet dies nichts anderes, als dass sich der Mensch in seinem Erkenntnisakt wiedererkennt. Dementsprechend ist es bei der menschlichen Erkenntnis nicht um etwas zu tun, das sich vom Menschen als Erkenntnissubjekt abstrahieren liesse, und zwar aus dem Grund, weil es sich bei der Erkenntnis um etwas handelt, das einer Erkenntnisleistung, einem Denkakt des Menschen gleichkommt, und das ist eine Aktivität des Geistes, worin sich der Mensch als Erkenntnissubjekt als das wiedererkennt, was ihn wesensgemäss ausmacht."

Giovanni Gentile