Bd. 7,4: Entstehung und Entwicklung der modernen Philosophie in Italien - Die Neu-Kantianer und Hegelianer


Erscheint im April 2015 (in zwei Teilbänden)

Titelei, Inhaltsverzeichnis
Neokantiani e Hegeliani II - Titel, Vorw
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Gentile, Giovanni:

Ausgewählte Werke in deutscher Übersetzung / Giovanni Gentile. – Biel/Bienne:

Schweizerischer Wissenschafts- und Universitätsverlag

NE: Hebeisen, Michael Walter [Hrsg.]: Gentile, Giovanni: [Sammlung]

Bd. 7,4: Entstehung und Entwicklung der modernen Philosophie
in Italien –
Die Neu-Kantianer und Hegelianer (zweiter Teil) /

aus dem Italienischen übersetzt und
hrsg. von Michael Walter Hebeisen. – 2015

ISBN 978-3-7347-4977-3

Titel der Originalausgaben:

Le origini della filosofia contemporanea in Italia – I Neokantiani e gli Hegeliani [parte seconda], in: Opere complete, Bd. XXXIV. Sansoni, Firenze 1957;

Der aktuale Idealismus, zwei Vorträge, in: Philosophie und Geschichte – Eine Sammlung von Vorträgen und Schriften aus dem Gebiet der Philo­sophie und Geschichte, H. 35, Tübingen: J. C. B. Mohr {Paul Siebeck}, 1931.

"Da muss man sich schon anderen Denkern zuwenden, deren philosophische Lehren zwar schon auch vom Kritizismus geprägt sind, wie das auch bei Antonio Rosmini-Serbati der Fall ist, die sich jedoch mit dem Hegelianismus im Einklang befinden, wie das bei Rosmini nicht stattfinden konnte. Solche günstigen Voraus-setzungen herrschten im gleichen Zeitraum in Neapel, nämlich bei der sich um Pasquale Galuppi herum ansammelnden Bewegung, in einem geistig-kulturellen Ambiente, in dem Bertrando Spaventa eingebettet und aufgehoben war, und aus welcher Richtung er nach Ablauf von zwanzig Jahren als der bedeutendste von allen anderen Anhängern hervorgehen sollte; ihm stellen sich die Dinge wie folgt dar: 'Als Vinzenco Gioberti als ein neuer Stern am italienischen Horizont aufgetaucht war, war ich noch so jugendlich und so unerfahren in den Dingen dieser Welt, dass ich keinerlei Gefühle der Sympathie oder Antipathie für die Wiederaufnahme einer bestimmten glorreichen Vergan¬genheit des Mittelalters oder der Antike, nicht für das Papsttum, noch für die weltliche Herrschaft, nicht für die Scholastik, und auch nicht für die Lehren des Pythagoras empfand, hingegen verstand ich mich schon einigermassen darauf, was sich um mich herum seit einiger Zeit im anbahnte. Kaum noch hatte ich damit begonnen, das eine vom anderen zu scheiden, die Rhetorik von der Philosophie unter-scheiden, die religiösen Empfindungen und die philosophischen Theoriebildung auseinanderzuhalten, die nationalistischen Vorverständnisse vom allgemein-menschlichen Geisteslebens zu sondern. Ich befand mich in einer Geistesverfassung, die es mir erlaubte, das Meine zu philosophischen Fragen in eigener Sache beizutra-gen, ohne dass in meinen Urteilen eine andere Überlegung Eingang gefunden hätte, als die Vernunftgründe, die ich für die Vernunft hielt. Alle Jungen waren wir so geprägt, und es war eine Art von geistig-kulturellem Ambiente, das uns alle in gleicher Weise ergriff, eine Vereinnahmung, wie Dante Alighieri sagen würde, die uns alle erfasste. Nicht sosehr welterfahren und lebensbezogen, als vielmehr abstrakt denkend, aber dafür auch weniger mit Vorurteilen belastet, waren wir alle, und dazu bereit und geneigt, unsere geistige Aufmerksamkeit dem Wahren zuzuwenden, wie sich uns dieses auch immer zeigen mochte, ohne alle Vorahnungen, gleichsam in einem Zustand der Unschuld, blind auf das Wahre vertrauend, allein auf die eine Wahrheit setzend, und so sahen wir auf die rechtschaffenen Vertreter unseres Fachs, aber furchtlos begegneten wir auch manchen schrecklichen Monstern, die zu dieser Zeit nur von einigen wenigen Klerikern gehegt und in Umlauf gebracht wurden (weil sie allein davon wussten!), Monstern, die recht eigentlich erst infolge des Fortschritts der förderlichen oder niederträchtigen menschlichen Angelegenheiten für andere als Kleriker zu solchen wurden. Gioberti, der als ein literarischer Schriftsteller und als Mann der Politik beurteilt wurde, konnte demnach für uns nicht zum Gegenstand der Philosophie erhoben werden, den wir hätten mögen, oder den wir hätten meiden können, allein aufgrund dieser Vorurteile. Aber es war da einer unter uns – und zwar der wage-mutigste von allen, einer der, wenn er nicht allzu jung verstorben wäre, oder wenn man ihn wenigstens zu Lebzeiten hätte gewähren lassen, für die akademische Jugend in Neapel ganz gewiss eine grosse Wohltat bedeutet hätte –, der war ein glühender Verehrer der patriotischen Geisteshaltung von Gioberti – denn darin waren wir uns alle einig –, der nichtsdestotrotz die sonderbarsten Einwände gegen seine philosophischen Lehren vortrug. Es mochte fast den Anschein haben, als ob er nicht frei sei, und diese seine Überzeugung liess ihn wiederholt in Wut entbrennen gegen seine eigene Veranlagung eines ‚homme des lettres‘, als was wir anderen es bezeichneten. Das war also dieses geistig-kulturelle Ambiente der Lauterkeit und der Gewissen-haftigkeit, aus dem wir selber hervorgegangen sind'."

Giovanni Gentile