Bd. 5: Entstehung und Aufbau der Gemeinschaft - Eine praktisch-philosophische Untersuchung
Gentile, Giovanni:
Ausgewählte Werke in deutscher Übersetzung / Giovanni Gentile. – Biel/Bienne:
Schweizerischer Wissenschafts- und Universitätsverlag
NE: Hebeisen, Michael Walter [Hrsg.]: Gentile, Giovanni: [Sammlung]
Bd. 5: Entstehung und Aufbau der Gemeinschaft – Eine praktisch-philosophische Untersuchung/
aus dem Italienischen übersetzt und
hrsg. von Michael Walter Hebeisen. – 2016
ISBN 978-3-7412-4174-1
Titel der Originalausgabe:
Genesi e struttura della società – Saggio di filosofia pratica. In: Opere complete, Bd. 9. Firenze: G. C. Sansoni, 1946 (Verona: Arnoldo Mondadori, 1954; Firenze: Le Lettere, 1994).
Diese Unsterblichkeit kommt nun aber dem ewigwährenden Prozess der Bewusstwerdung des einzelnen Menschen zu, der sich in seiner Existenz durch seinen universellen Geltungsanspruch verwirklicht, und der als ein Absoluter und deshalb Unsterblicher zu seiner Erfüllung gelangt. Das verlangt durchwegs nach einer Selbst-Aufgabe, nach einer Aufopferung des Geringen für das Grossartige, für die Verwirklichung des Geistes, die in der Verfolgung von Ideen und Idealen besteht, welche die Wirklichkeit stimulieren und aktivieren, was vor Augen führt, dass die bereits konkret und aktuell verwirklichte menschliche Existenz noch nicht der wahren, eigentlichen, wesensgemäss menschlichen Lebensform entspricht.
Diese Auffassung von der Unsterblichkeit der Seele des Menschen entspricht also nicht der Unvergänglichkeit einer Photographie einer Person, die in ihrer blühenden Jugend übermütig gebärdet, und der es beliebt, damit auch noch im Alter zu liebäugeln, dies in der Vorstellung mit dichtem, schwarzem Haupthaar, auch wenn dieses unterdessen licht geworden und ergraut ist.
Die Unsterblichkeit der Seele des lebenden Menschen besteht darin, dass der Mensch am Leben ist, weil er ununterbrochen um seinen eigenen Tod weiss, denn wenn er sein Leben auf diese Weise führt, bewegt er sich im Ewigen, im Absoluten, und er verewigt dieses Göttliche. Das ist nun vielleicht kein überschwänglicher Trost für Narzissten, die es vorziehen, sich in ihren Jugendträumen zu spiegeln. Eigentlich schade, dass diese weiter nichts sind, als Wunschträume und Wahnvorstellungen, womit sich der Mensch in seiner Phantasie von der Wirklichkeit entfernt. Der männigliche Mensch, der wahrhaftig Zuspruch sucht, wie er ihm nur von der wahrheitsgemässen Wirklichkeit zuteil wird, wird sein Wesen nicht in eigenen phantasiereichen Einbildungen und Vorstellungen suchen, sondern in seinem innersten Wesenskern, wo die wahre Quelle jeder gesunden Phantasie liegt, und worin auch die eigentliche Grundlage für alle wahrhaftige Freude am Leben besteht. Also gilt: nosce te ipsum, erkenne dich selbst, und das ist die Pointe – und der Schlusspunkt.